Ulrike Schupp, „Zukunft Medizin“, Beilage in DIE ZEIT April 2020. Eier sind schädlich, weil sie zu viel Cholesterin enthalten? Oder aber gesund, wegen ihres hochwertigen Proteins? Der duftende Morgenkaffee treibt den Blutdruck in die Höhe. Ist er gefährlich vor allem für das bereits angeschlagene Herz? Oder schützt er vor Demenz und darf weiterhin genossen werden? Saftige Steaks, überhaupt rotes Fleisch, sollten tunlichst vom Speiseplan verschwinden. Doch ab und zu ein Gläschen Rotwein geht klar?
Inhalt
Was ist Mythos oder Hype?
Herz-Kreislauferkrankungen zählen zu den häufigsten Todesursachen in Industrienationen. Zu 80 Prozent sollen die Ursachen dafür in unserem Lebensstil liegen, der sich immerhin verändern lässt. Ratschläge und Empfehlungen häufen sich. Doch was davon ist wahr, und was nur ein Mythos oder ein flüchtiger Hype?
Forschungsergebnisse sind widersprüchlich. Für Aufsehen sorgte etwa die PURE-Studie, die das Ernährungsverhalten von 138.000 Personen aus 21 Ländern über 7,4 Jahre lang beobachtet und dabei eine gewaltige Datenmenge erhoben hatte. Die Studie sollte zeigen, ob es einen Zusammenhang zwischen Fett- und Kohlehydrataufnahme und Herzkreislauf-Erkrankungen gibt. Ihr zufolge sind nicht nur Gemüse, Obst, Fisch und Nüsse gesund für das Herz, sondern überraschenderweise auch Fleisch und Milchprodukte. Es sei empfehlenswert, mehr als einmal in der Woche unverarbeitetes rotes Fleisch zu essen. Studien, die bei Milch und Käse vor Fett und Cholesterin warnen, seien inzwischen veraltet.
Steakfans zu früh gefreut
Allerdings hatten sich die westlichen Steakfans dann doch zu früh gefreut. Die Ergebnisse der PURE Studie ließen sich nicht so einfach übertragen, da bei der Untersuchung nur wenige Datensätze aus Industrienationen stammten. Wissenschaftler aus Ohio zeigten dann wieder, dass bei der Verdauung von rotem Fleisch Stoffwechselprodukte entstehen, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), kritisiert die Methodik der PURE -Studie und die daraus abgeleiteten Empfehlungen für einzelne Lebensmittel energisch. Sie empfiehlt eine Ernährung mit einem Fettanteil von 30-35 Energieprozent und einem Kohlehydratanteil von über 50 Energieprozent. Generesei die Energiezufuhr in den westlichen Ländern oft zu hoch. Es geht aber auch um die Qualität von Fetten und Kohlehydraten, konkret z.B. um weniger Zucker und mehr Ballaststoffhaltiges wie Hülsenfrüchte, um Gemüse, Obst und gesundes Olivenöl.
Nüsse sind gut, Chillies sind besser
Entwarnung gibt es bei Kaffee und Nüssen, vorausgesetzt, beides wird in Maßen genossen. Bei Studien fehlen schlicht ausreichende Hinweise darauf, dass Kaffee das Herz schädigt. Walnüsse und Erdnüsse haben zwar reichlich Kalorien, wirken aber cholesterinsenkend und sind durch ihre mehrfachungesättigten Fettsäuren zu empfehlen. Rote Chillies sorgten für Überraschungen. 2017 zeigte eine Studie der Universität Vermont: Teilnehmende, die sie regelmäßig, aber auch nicht in rauen Mengen verspeisten, starben nur selten frühzeitig. Ein Ergebnis, das eine weitere Untersuchung dazu in Italien bestätigen konnte.
Bei Eiern scheiden sich aber weiterhin die Geister. Sie sind reich an Protein, fettlöslichen Vitaminen und Mineralstoffen. Gleichzeitig enthält ein 60 g schweres Ei ca. 240 mg Cholesterin. „Die Studienlage zeigt keine eindeutigen Auswirkungen des Eierverzehrs auf kardiometabolische Erkrankungen,“ erklärt die DGE. „Eier können als tierische Lebensmittel den Speiseplan ergänzen und Bestandteil einer vollwertigen Ernährung sein.“ Gleichzeitig aber sei es sinnvoller, auch im Hinblick auf die Cholesterin-Aufnahme die gesamte Ernährung eines Menschen zu betrachten als Grenzwerte für einzelne Lebensmittel festzulegen. Weniger tierische Lebensmittel zu essen sei gut für Gesundheit und Umwelt.
Bewegungsmangel, Übergewicht und Stress tragen dazu bei, dass sich in den Herzkranzgefäßen sogenannte Plaques aus Fett, Bindegewebe und Kalk ablagern. Sie können die Blutgefäße so stark verengen, dass die Versorgung des Herzens mit Sauerstoff und Nährstoffen immer schwieriger wird. „Verkalkung“ oder Arteriosklerose ist deshalb so gefährlich, weil der Plaques aufreißen, die Gefäße dann komplett verstopfen und damit einen Infarkt auslösen kann.
Bewegung und Schlaf sind das A und O
Bewegung gilt neben der Ernährung als weitere Säule der Prävention und auch hier sind die Empfehlungen komplexer geworden. Joggen ist als Ausdauersport zum Beispiel okay. Allerdings gilt, leichte bis moderate Bewegung ist besser fürs Herz als ein ehrgeiziges Extrem, das eher schadet. 12 Jahre lang wurden in Dänemark die Daten von 1100 Joggern und über 400 Nicht-Joggern ausgewertet. Im Ergebnis lebten diejenigen, die bis zu drei Mal in der Woche locker liefen am gesündesten.
Mehr Aufmerksamkeit gebührt auch unserem Schlaf. Vor allem, wer sich im mittleren Alter zu wenig, also unter fünf Stunden, davon gönnt, erhöht sein Risiko später einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Das zeigte eine Studie der Uni Göteborg, in der über 20 Jahre hinweg die Gesundheitsdaten von 760 Männern ausgewertet wurden. Kurzschläfer langten tagsüber bei Süßem und Fettigem oft stärker zu. Das kann auf Dauer zu Übergewicht führen und damit das Herz belasten.
Umweltfaktoren wie Lichtverschmutzung können ebenfalls eine Rolle spielen. Die fehlende Dunkelheit nachts in den Städten ist nicht nur für Vögel und Insekten purer Stress, sondern lässt auch Menschen schlechter schlafen.
Prävention muss früh beginnen
Bis sich eine Arteriosklerose bemerkbar macht, vergehen in der Regel Jahre und oft beginnt der Entstehungsprozess schon im Kindesalter. Prävention muss also früh beginnen, auch damit gesunde Lebensgewohnheiten so sehr zur Routine werden, dass zum Beispiel regelmäßige Bewegung so selbstverständlich wird wie das Zähneputzen.
Für den Verlauf einer Herzerkrankung ist es außerdem von immenser Bedeutung, sie rechtzeitig zu erkennen. Neben dem Engegefühl in der Brust, das in den linken Arm abstrahlt, gibt es noch einige unbekanntere Symptome, die medizinisch abgeklärt werden sollten. So können auch Atemnot bei Belastung, Schwindel oder schnelle Ermüdbarkeit auf Probleme mit dem Herzen verweisen.