Passen Hochsensibilität und Führungsposition zusammen? Welche Rolle spielen als „weiblich“ wahrgenommene Qualitäten für Frauen, die beruflich aufsteigen wollen? Und wie funktioniert eigentlich ein Coaching? 10 Fragen an die Psychologin Sonja Simone Schröder, die in ihrer Hamburger Praxis (https://sonja-simone.de) Unternehmerinnen, Freiberuflerinnen und Frauen in Führungspositionen coacht.
Inhalt
Mit welchen Anliegen kommen Klientinnen zu dir?
Oft geht es um berufliche Umorientierung, um eine Begleitung auf dem Weg in die Selbstständigkeit oder darum, eine Struktur zu entwickeln, ins Tun kommen. Frauen, die angestellt sind, wollen wissen, wie sie mit ihrer Hochsensibilität umgehen können oder wie sie sich in einer neuen Führungsrolle behaupten. Bei Selbstständigen ist Mut ein großes Thema, das Vertrauen in die eigene Idee, das nötig ist, um sie umzusetzen und sich dann durch den Dschungel dessen zu hangeln, was zu tun ist. „Bin ich gut genug?“, ist ein häufig geäußerter Zweifel. Oft geht es auch darum, die eigene übermäßige Leistung wahrzunehmen. Viele haben mit inneren Antreibern und Perfektionismus zu tun. Ich habe mit einer Frau in einer hohen Führungsposition gearbeitet, die sich durch ihre Ansprüche an sich selbst auch gesundheitlich beinahe ins Aus katapultiert hat. Frauen neigen dazu, die Arbeit einfach zu tun und nicht viel darüber zu reden. Dadurch werden sie oft nicht gesehen und übergangen, zum Beispiel bei Beförderungen.Hinzu kommt, wenn jemand viel leistet, wachsen die Ansprüche von außen. Im Coaching loten wir aus, welchen davon sollte ich genügen und wo darf ich mich wehren. Ein weiteres großes Thema ist die Angst vor der Sichtbarkeit. Hier tauchen unglaublich viele Blockaden auf. Sich zu behaupten und für sich einzutreten, zu akquirieren, Werbung zu machen, das fällt vielen Frauen schwer. Es ist wichtig, an den Blockaden zu arbeiten, die so gut wie jede hat, die mir begegnet ist.
Wie könnten die Lösungsstrategien aussehen?
Wir schauen, welche Glaubenssätze hinter den Blockaden stehen. Das führt meist in die eigene oder in die kollektive Vergangenheit. Eine wichtige Frage ist, wo ist die Kraftquelle in mir und wie kann ich mich mit ihr verbinden? Welche Ressourcen habe ich? Oder auch „Wie bleibe ich in meiner Mitte?“. Körperorientierte Techniken, Visualisierungen und Techniken aus der Hypnosetherapie können hier, individuell abgestimmt auf die Klientin, helfen. Zum Beispiel kann ich das Nervensystem über meinen Atem beruhigen. Es hat konkrete Auswirkungen auf meine Ausstrahlung, wenn ich die Füße auf den Boden stelle und mich verwurzele. Ich kann zwischen mir und meinem Gegenüber eine Schutzwand visualisieren oder einen Baum hinter mir, der mein Rückgrat stärkt.
Coaching und Therapie – wo ist der Unterschied? Warum coacht du lieber?
In der Therapie geht es eher um die Vergangenheit und ein Leiden daran, das jemanden im Alltag einschränkt. Im Coaching gibt es konkrete berufliche und private Themen, die meist mit Blockaden im Außen zu tun haben. Es geht um Wachstum, um Entfaltung, darum Ziele zu verwirklichen. Ich hatte Lust, Menschen zu begleiten, die Ihr Potential ausschöpfen wollen, die innovativ sind, und etwas positives in die Welt bringen möchten. Ich habe selbst ein Business Coaching gemacht, und habe darüber meine eigene Hochsensibilität entdeckt.
Welche Rolle spielt „Hochsensibilität“ bei der Arbeit mit dir?
Der Begriff „Hochsensibilität“ ist sehr in Mode gekommen. Er wird möglicherweise irgendwann auch wieder verschwinden. Es geht darum, auf sich zu achten. 15 bis 20 Prozent der Gesellschaft sind hochsensibel und im Augenblick geht es darum, auf ein Phänomen aufmerksam zu machen. Die Menschen müssen sich das selbst zugestehen. Wenn man sich selbst einordnen kann, fällt viel an Selbstunsicherheit weg. Der Stress, sich “ anders“ oder „nicht richtig“ zu fühlen, fällt weg und das ist sehr entlastend. Von außen betrachtet sind hochsensible Menschen Personen mit einer großen Wahrnehmungsfähigkeit, die Dinge analysieren und Fehler im System finden können, die andere nicht gleich erkennen. Es ist wichtig, ihnen eine Stimme zuzugestehen und zu wissen, dass sie ein bestimmtes Arbeitsumfeld benötigen. Wenn da eine Selbstverständlichkeit erreicht ist, brauchen wir den Begriff nicht mehr.
Auch Frauen, die sich nicht als hochsensibel wahrnehmen, sind im Coaching willkommen. Allerdings erlebe ich die meisten Frauen als sensibel, was Probleme und Stärken mit sich bringt. Für Menschen, die selbst eine sehr weite Wahrnehmung haben, ist es besonders wichtig, dass sie sich gesehen fühlen. Sie haben zum Beispiel ein anderes Gefühl für Zeit oder brauchen längere Regenerationsphasen. In einem Umfeld, das durchgetaktet und linear denkend ist, kommen viele Hochsensible, die eher intuitiv sind, an ihre Grenzen und an die ihres Teams. Es ist Teil des Coachings, zu überlegen, wie solche Unterschiede kommuniziert werden können und festzustellen, „Was brauche ich?“ und „Wie bringe ich den Mut auf, das zu vertreten?“
Was wäre ein gutes Arbeitsumfeld für hochsensible Menschen?
Wir sollten zunächst feststellen, auf welchem Kanal jemand hochwahrnehmend ist. Wer geräuschempfindlich ist, braucht eine ruhige Umgebung. Es ist wichtig, zu schauen, neben wem kann ich gut arbeiten und wer irritiert mich eher? Was irritiert? Ist es eine alte Geschichte, etwa die Erinnerung an eine Freundin, mit der es früher Stress gab. Daran kann man arbeiten und die Resonanz verändern. Der erste Schritt ist, die Irritationen ernst zu nehmen. Die Lösungen können dann auch sehr praktisch sein. Zum Beispiel hat eine Frau, die im Dreierbüro arbeitete, den Schreibtisch so gestellt, dass die Person, die sie irritierte, aus dem Sichtfeld war. Eine andere Möglichkeit wäre, Puffer einzubauen, z.B. eine Pflanze aufzustellen oder Zeiten zu nutzen, in denen die anderen nicht im Büro sind.
Kommt dir deine eigene Hochsensibilität im Coaching zugute?
Ja, das ist ein Diagnoseinstrument. Ich habe eine hohe Körperwahrnehmung und eine Hellhörigkeit. Ich weiß oft vorher, was Menschen sagen wollen und ich scanne permanent meinen Körper in Bezug auf das, was ich wahrnehme. Wenn sich bei einem Thema eine Enge im Brustkorb bemerkbar macht oder bei meinem Gegenüber eine Trauer fühlbar wird, spiegle ich das. Dadurch steigt die Eigenwahrnehmung der Klientin und wir können damit arbeiten. Ich spüre, welche Themen wichtig sind und auch, wenn jemand abdriftet.
Hellhörigkeit bezieht sich auf Inhalte. Ich höre Worte, bevor sie gesprochen werden und ich höre Vibrationen, die anzeigen, hier passiert etwas Wichtiges. Wenn jemand an ein heißes Thema kommt, höre ich zum Beispiel einen hellen Ton. Ich habe erst gedacht, es handelt sich um einen Tinnitus. Es handelt sich aber um eine Wahrnehmung, die im Bereich der normalen Sinne liegt, die der Durchschnitt jedoch nicht aufnimmt. Man kann sich das wie bei einem Radio vorstellen. Die Wellen sind immer vorhanden und manche Radios haben die Zwischenstufen eingestellt. Sie haben einen größeren Radius von Wellen, die sie aufnehmen. Es gibt auch Menschen, die Strukturen im Raum sehen oder Energien wie Quecksilber im Raum.
Du verwendest auch den Begriff „Female Rising“. Was ist damit gemeint?
Es handelt sich um die Entfaltung der weiblichen Kraft in den Frauen, auch wenn beide Geschlechter männliche und weibliche Anteile haben. Es geht um die Entfaltung bestimmter Qualitäten, die wir als „weiblich“ einordnen. Empfänglichkeit, Freundlichkeit, „sich kümmern“, Kommunikation, die Familie das System im Blick haben, Harmonie und Schönheit zu schaffen – das sind alles Qualitäten, die „dem Weiblichen“ zugeschrieben werden, das eben auch ein gesellschaftliches Konstrukt ist. Es sind außerdem Qualitäten, die in unserer Geschichte nie besonders geschätzt wurden, denn wir haben Jahrtausende in einem männlichen Gesellschaftskonstrukt gelebt. Erlaubt waren sie nur in einem begrenzten, familiären Bereich, aber nicht, wenn es um berufliche Teilhabe ging oder darum, berufliche Strukturen mitzugestalten. Dadurch dass dieser Teil abgewertet oder nicht erlaubt wurde, wird ein Teil der eigenen Lebenskraft abgespalten. Wenn Frauen „weibliche“ Qualitäten in sich wieder erlauben, bringt sie das in Balance. Es ist auch wichtig, Gefühle zu erlauben und sie als Hinweisgeber zu betrachten.
Welche Rolle spielt Spiritualität?
Hochsensible Menschen haben meist einen guten Zugang zu Spiritualität. Deshalb spielt dies manchmal auch im Coaching eine Rolle. Das ist oft aber etwas sehr Privates. Viele sind erleichtert, dass ich im Coaching einen Raum dafür gebe, ohne ein vorgefertigtes Konzept zu haben. Es gibt diese Idee, dass wir hier nicht ohne Grund sind, sondern weil wir einen Auftrag haben, zum Beispiel eine gute Geschäftsidee in die Welt zu tragen. Wenn Menschen das Gefühl haben, es hat Sinn, was ich hier tue, stärkt ihnen das den Rücken. Sie erleben einen Kraftzuwachs. Dabei ist mir sehr wichtig, eigene Vorstellungen, die ich natürlich habe, herauszuhalten. Es geht auch oft um Begriffe. Zum Beispiel habe ich mit einer Frau gearbeitet, die einen strengen kirchlichen Hintergrund hat. Wir konnten mit dem Begriff „Licht“ arbeiten. Engelswesen wäre vor ihrem Hintergrund nicht möglich gewesen. Eine andere Klientin hatte einen starken Bezug zu ihrem Schutzengel, das konnten wir als Ressource nutzen.
Wann ist Coaching erfolgreich?
Wenn die Klientin zufrieden ist und ihr Ziel erreicht hat. Manchmal ergeben sich auch neue Ziele aus einer veränderten Ausrichtung. Das Coaching ist ein Katalysator, der Prozesse beschleunigt, die auch so stattfinden würden – nur halt sehr viel langsamer und mühsamer. Die Klientin trägt alles in sich, was sie braucht. Ich denke meine Hauptqualitäten als Coach sind, schnell auf den Punkt zu kommen, zu erkennen, worum es eigentlich geht, und Raum zu geben, damit sich jemand traut, sich zu entfalten. Das beschleunigt auch den Coaching Prozess.
Deine Tipps für Frauen, die durchstarten wollen?
Gönne dir Unterstützung, suche dir Gleichgesinnte, vernetzt Euch. Frauen sind gemeinschaftlich denkende Wesen. Wir kommen in unsere Kraft, wenn wir uns gegenseitig unterstützen und annehmen. Schau hin, wo deine Stärken und Schwächen liegen. Hole dir Unterstützung für die Schwächen. Unternehmerinnen hilft es, sich bewusst zu machen, die Selbstständigkeit ist ein Weg, der dich als Ganzes betrifft. Du wirst gegen Steine stoßen, die du dir ansehen musst, weil sie etwas mit deiner Persönlichkeit und deiner Geschichte zu tun haben. Wenn du deine Selbstständigkeit als Lebensweg begreifst, machst du es dir leichter, weil du nicht den Anspruch hast, alles schon können zu müssen. Dazu gehört, dass du dich feierst. Achte auf deinen Körper und erkenne dein Warum. Das ist dein Kraftstoff. Dahin kannst du zurückkommen, wenn es mal schwierig ist.
Weitere Informationen: Sonja Simone Schröder – Sensitive Female Rising – Aufstiegscoaching für Frauen https://sonja-simone.de.
Das Interview führte Ulrike Schupp.