Ulrike Schupp, in „Herz & Diabetes“, Beilage im STERN, November 2020. Wer an Diabetes leidet, läuft Gefahr zusätzlich auch noch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Frauen betrifft das in noch stärkerem Maße als Männer. Wie Studien am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) in Düsseldorf zeigen, ist das Risiko einen Schlaganfall zu bekommen, für Diabetes- Patientinnen um 50 Prozent höher als bei Frauen ohne Diabetes. Eine der Ursachen dafür ist der Blutdruckanstieg, der mit dem Diabetes oft einhergeht. „Ein langjähriger und nicht adäquat behandelter Bluthochdruck schädigt die Gefäße, sodass es zu einem Gefäßverschluss kommen kann. Im Gehirn äußert sich so ein Ereignis als Schlaganfall“, erklärte Prof. Dr. Michael Roden, Vorstand am Deutschen Diabetes-Zentrum, anlässlich des Schlaganfalltags. Es müsse weiterhin daran gearbeitet werden, den Diabetes frühzeitig zu erkennen, um Folgeerkrankungen zu vermeiden. Bei Menschen mit Diabetes ist das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, im Vergleich zu Stoffwechselgesunden zwei- bis viermal so hoch. Durch Bluthochdruck verzehnfacht es sich sogar. Es steigt weiter, wenn der Stoffwechsel schlecht eingestellt ist, und die Blutzuckerwerte dauerhaft erhöht sind. „Jeder fünfte Patient, der einen Schlaganfall erlitten hat, hat Diabetes“, sagt Professor Dr. Thomas Haak Chefarzt des Diabetes Zentrums Mergentheim. Studien haben gezeigt, dass auch schon Vorstufen eines Diabetes Typ-2 mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen. Auch hier werden die größeren Gefäße des Kreislaufsystems schon durch erhöhten Blutzucker gefährdet.
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Diabetes anfänglich fast unbemerkt
Diabetes verläuft im Anfangsstadium beinahe unbemerkt. Das ist gefährlich, weil es die Heilungschancen bei Diabetes Typ-2 verringert und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Folgekomplikationen erhöht. Und damit sind nicht nur Erkrankungen der Blutgefäße gemeint. Jährlich werden aufgrund von Diabetes etwa 40.000 Amputationen notwendig. Die sogenannte Zuckerkrankheit kann zum Erblinden führen und Typ-2 Diabetes ist eine der häufigsten Ursachen für Nierenversagen und Dialysepflicht. Doch jeder zweite Patient und jede zweite Patientin mit Typ-2-Diabetes stirbt verfrüht an einer vaskulären Erkrankung. Neben dem zu hohen Blutdruck verstärken Plaque-Bildungen, umgangssprachlich „Verkalkungen“ an den Innenwänden der Blutgefäße das kardiovaskuläre Risiko. Die Ablagerungen bestehen vor allem aus Fetten, Cholesterin und Bindegewebe und führen über Jahre hinweg zu einer Verengung der Blutgefäße. Begünstigt wird dieser Prozess bei Menschen mit Diabetes durch einen chronisch hohen Blutzucker. Durchblutungsstörungen und Bluthochdruck sind die Folge. Besonders gefährlich ist das Einreißen der Plaques, durch das sich Thromben lösen können, die die Gefäße dann komplett verschließen. Hier kommt es dann darauf an, welches Organ betroffen ist. Verengte Beinarterien können zu einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, der „Schaufensterkrankheit“ führen, bei der das Gehen nach kurzer Strecke nur noch unter Schmerzen möglich ist. Ein Gefäßverschluss der koronaren Arterien löst einen Herzinfarkt aus. Die Überlebensrate von Herzkranken mit Diabetes ist nach einem Infarkt deutlich schlechter als bei Stoffwechselgesunden. Und auch nach einem Schlaganfall ist die Prognose bei Menschen mit Diabetes viel ungünstiger.
US-amerikanische Forscher und Forscherinnen untersuchten, ob sich die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Erkrankten mit Diabetes eventuell vorhersagen lässt. Sie analysierten dabei ebenfalls, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Entwicklung von Herz-Kreislauferkrankungen gibt. Von 2334 Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes litten 14,2 % an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Höheres Alter, Rauchen, Bluthochdruck und ein hoher Cholesterinwert begünstigten das Entstehen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei den Männern. Bei den Frauen erwiesen sich vor allem Bluthochdruck und eine zu lange Schlafdauer, die den Energiestoffwechsel negativ beeinflusst, als Risikofaktoren.
Vielschichtige Stoffwechselstörungen
Mit „Diabetes“, oder genauer „Diabetes mellitus“ sind immer äußerst vielschichtige Stoffwechselstörungen gemeint, die mit einer chronischen Überzuckerung einhergehen. Über 90% der Diabetes-Patientinnen und Patienten leiden an einem Typ-2-Diabetes. Ursache für diesen Typ ist eine Insulinresistenz, die die Wirkung des Insulins in den Körperzellen negativ beeinflusst. „Insulin“, das lebenswichtige Stoffwechselhormon, wird in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Es bewirkt, dass die Körperzellen, Muskelzellen und Gehirn über Kohlenhydrate den Zucker aufnehmen können, den sie als Treibstoff brauchen. Bleibt der Zucker stattdessen im Blut, wird es problematisch. Es entsteht auf der einen Seite eine Überzuckerung und auf der anderen ein Mangel. Nicht immer ist bei Diabetes Typ-2 nur der Kohlenhydratstoffwechsel gestört. Auch der Fett- und der Eiweißstoffwechsel können betroffen sein. Auslöser für die Erkrankung sind darüber hinaus manchmal auch Störungen der Insulinwirkung an Organen, beispielsweise an der Leber.
Der Typ-2-Diabetes und Prädiabetes, seine Vorstufe, gehen Zahlen der Deutschen Diabetes Stiftung zufolge zu über 80% mit starkem Übergewicht einher, das auch zu den bedeutsamen Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen zählt. Wenn jemand stark abnimmt, stehen die Chancen gut, den Diabetes nah der Diagnose eventuell sogar noch einmal verlieren, sagte Dr. Julia Szendrödi, Leiterin des Klinischen Studienzentrums des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) auf dem Düsseldorfer Diabetestag 2020. Allerdings sei Übergewicht nicht immer die Ursache für Diabetes Typ-2. Sowohl bei der Prävention von Diabetes und von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielt der Lebensstil eine wichtige Rolle. Ein normales Körpergewicht, der Verzicht auf Alkohol und Nikotin oder zu viel Stress tragen außerdem dazu bei, das Risiko einer kardiovaskulären Folgeerkrankung zu verringern, wenn jemand bereits an Diabetes erkrankt ist. Nicht zuletzt, um abzunehmen gelten viel Gemüse, Vollkornprodukte, regelmäßige moderate Bewegung und genug, aber nicht zu viel Schlaf als Empfehlung.
Diabetes Typ1 Autoimmunerkrankung
Anders als bei Diabetes Typ-2 gibt es bei der Autoimmun-Erkrankung Diabetes Typ-1, die vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen auftritt, noch keine Heilungschancen. Dem Körper fehlt hier das Insulin, weil die Zellen, die das Hormon produzieren durch das körpereigene Abwehrsystem zerstört werden. Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen deshalb lebenslang Insulin spritzen, um schwerwiegende Folgeerkrankungen zu verhindern oder ihr Entstehen zumindest hinauszuzögern. Etwa 0,3 bis 0,4 Prozent der Bevölkerung leiden an Typ-1-Diabetes. Im Alter ist Herzschwäche eines der Hauptprobleme bei Menschen mit diesem Erkrankungstyp. Zu den Anzeichen der Herzschwäche gehören Atemnot bei alltäglicher Anstrengung beispielsweise beim Treppensteigen, ein unregelmäßiger Puls und Wassereinlagerungen in den Beinen.
Unspezifische Warnzeichen
Die Anzeichen für eine Diabetes-Erkrankung sind eher unspezifisch. Starker Durst, verschwommenes Sehen, trockene Haut und eine verzögerte Wundheilung gehören dazu, aber auch Müdigkeit und geringe Belastbarkeit. Der Blutzuckerwert steigt nicht plötzlich an, sondern langsam über Jahre.
Früh erkannt ist Diabetes Typ-2 jedoch in mehrfacher Hinsicht gut behandelbar. Die Therapie setzt vereinfacht ausgedrückt auf eine Kombination aus medikamentöser Behandlung, der Beachtung aller Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen und der Behandlung bereits eingetretener Folgeerkrankungen. Menschen mit Diabetes müssen nicht nur den hohen Blutzuckerwert korrigieren, sondern auch hohe Cholesterinwerte und Bluthochdruck vermeiden, die wiederum kardiovaskuläre Erkrankungen fördern. Gut eingestellte Blutzuckerwerte von Beginn an erhöhen dagegen die Chance, lange ohne Folgeerkrankungen der Blutgefäße und des Herz-Kreislaufsystems leben zu können. Um den Blutzuckerspiegel zu senken ist meist eine medikamentöse Behandlung durch Antidiabetika erforderlich. Ein gesunder Lebensstil und die entsprechende Ernährung sind jedoch eine wichtige Ergänzung dieser Therapie.
Überaus wichtig ist es für Menschen mit Diabetes, sich beim Arzt oder einer Ärztin regelmäßig auf Folgeerkrankungen untersuchen zu lassen. Das Diabetesinformationsportal empfiehlt, dass Menschen mit einem Typ-1-Diabetes innerhalb des ersten Jahres ihrer Diagnose auch ihre Blutfettwerte überprüfen lassen sollten. Ab dem elften Lebensjahr empfiehlt es sich regelmäßig den Blutdruck zu messen. Menschen mit Typ-2-Diabetes sollten im Rhythmus von ein bis zwei Jahren im Hinblick auf Erkrankungen und Risiken für Herz und Gefäße untersucht werden. Und auch ein eher geringfügig erhöhter Blutzucker ist ein Alarmzeichen. Der Deutsche Diabetes Hilfe zufolge wird die Zahl der an Diabetes erkrankten Erwachsenen in Deutschland inzwischen auf 9,5 Millionen geschätzt. Bei 4,5 Millionen wurde die Krankheit noch nicht diagnostiziert. Diese Patienten und Patientinnen haben ein besonders hohes Risiko lebensbedrohliche Folgekomplikationen zu erleiden.