Ulrike Schupp in „Zukunft Medizin“, Beilage in DIE ZEIT, Oktober 2020.
Bequem ist er, der Schreibtischjob, bei dem sich die Arbeit fast ausschließlich zurückgelehnt vom Bürosessel aus verrichten lässt. Wer will, verlässt das Firmengebäude nicht einmal in der Mittagspause, sondern lässt ganz wie im Schlaraffenland Sushi oder Pizza kommen. In der Arbeitsmedizin gilt Büroarbeit allerdings schon lange als körperlich, visuell und psychisch belastend und damit als potentiell gesundheitsgefährdend. Meist ist Schreibtischarbeit heute auch Bildschirmarbeit und das über Stunden. Vor allem der Bewegungsapparat leidet durch die gekrümmte Körperhaltung vor dem Monitor. Zum „runden Rücken“ kommen die einseitige Belastung hinzu, zu niedrige oder zu hohe Tische und Stühle, spiegelnde Monitore, zu wenig Tageslicht und unzureichende Arbeitsorganisation. Eine hohe Muskelspannung durch Zeit- und Leistungsdruck wirkt sich ebenfalls negativ aus. Im Hinblick auf die Gesundheit der Blutgefäße gilt das lange Sitzen im Büro inzwischen als ebenso gesundheitsschädigend wie das Rauchen.
Inhalt
Nicht nur der Rücken leidet
Mit dem Rücken leiden meist auch Schultern und Nacken, Hals- und Lendenwirbelsäule sowie die Arme. Als typische „Bürokrankheit“ gilt der „Mausarm“, das Repetitive Strain Injury – Syndrom (RSY). Es kündigt sich an durch Schmerzen in den Sehnen, der gesamten Muskulatur sowie den Gelenken des Arms und kann bis in die Fingerspitzen ausstrahlen. Schulter, Nacken und Rücken sind meist mit betroffen, was schnell zu einseitigen Schonhaltungen führt. Helfen können neben physiotherapeutischer Behandlung eine ergonomische Tastatur, eine ebensolche Maus, regelmäßige Bewegungspausen, aber auch gezielte Übungen für die Arme und die Hände.
Rückenschmerzen sind ein geläufiges Thema am Arbeitsplatz. Für 2019 meldete die AOK 214 Millionen Fehltage bei ihren erwerbstätigen Versicherten. Mit 21 Millionen Tagen belegten Rückenbeschwerden den ersten Platz bei den Krankschreibungen. Menschen zwischen 30 und 50 Jahren trifft es am häufigsten und Beschäftigte ab 60 deutlich öfter als Jüngere. Bei den Rückenleiden sind vor allem Bandscheibenvorfälle gefürchtet. Die Wirbelsäule sorgt mit 24 stabförmig angeordneten Wirbeln dafür, dass sich Menschen aufrecht halten können. Hals-, Brust- und Lendenwirbel bilden gemeinsam mit Kreuz- und Steißbein die s-förmig gebogene Säule. Ein Zusammenspiel von Bandscheiben, Muskeln, Sehnen und Bändern gewährleistet die notwendige Beweglichkeit und das Rückenmark im Spinalkanal ist unsere wichtigste Nervenleitung. Die Bandscheiben, die zwischen den Wirbeln sitzen, haben eine Pufferfunktion. Sie bestehen aus einem weichen Gallertkern und einem festen äußeren Faserring. Je höher das gallertartige Gewebe ist, desto beweglicher ist die Wirbelsäule. Mit dem Alter, durch Dauer- und Fehlbelastung wie zum Beispiel regelmäßiges langes Sitzen verlieren die Bandscheiben an Flüssigkeit und die Beweglichkeit nimmt entsprechend ab. Ein Bandscheibenvorfall ist ein Durchbruch eines Teiles des Gallertkerns durch den Faserring, durch den ein schmerzhafter Druck auf die Nervenwurzel entsteht. Er kann jeden Teil der Wirbelsäule treffen. Besonders häufig tritt er in der Lendenwirbelsäule auf, weniger oft in der Hals- und selten in der Brustwirbelsäule. Etwa 800.000 Mal pro Jahr wird die Diagnose „Bandscheibenvorfall“ gestellt. Zu den neueren minimal invasiven Therapien gehören die Dekompression der Bandscheibe per Laser oder das Entfernen von Bandscheibengewebe mit einer feinen Sonde, das den Druck von der Nervenwurzel nimmt.
Headset statt Telefon
Eine trainierte Muskulatur kann Belastungen auffangen und ausgleichen. Mehr Bewegung und gezieltes Rückentraining beugen Beschwerden, die durch langes Sitzen entstehen, vor. Außerdem gibt es in vielen Büros die Möglichkeit an höhenverstellbaren Tischen zu arbeiten, an ein Stehpult zu wechseln, auf dem Bürostuhl wechselnde Sitzhaltungen einzunehmen oder einfach mitzumachen beim betriebseigenen Sportprogramm. Experten empfehlen außerdem anstelle des Telefons ein Headset zu benutzen, weil dadurch die seitlichen Bänder im Hals nicht überdehnt werden.
Doch nicht nur der Rücken, auch die Augen werden durch Bildschirmarbeit stark gefordert. Schon die einfache Textverarbeitung stellt hohe Anforderungen an die Aufnahme der visuellen Information über Hornhaut, Linse und Glaskörper des Auges sowie an deren Weiterleitung und Weiterverarbeitung im zentralen Nervensystem. Probleme entstehen hier durch schlechtes Licht, Blendeffekte und eine mangelhafte Darstellung von Zeichen und Bildern auf ungenügenden Arbeitsgeräten. Häufig verstärken eine bestehende Fehlsichtigkeit oder Augenerkrankungen wie eine Eintrübung der Augenlinse die Belastung. Im Arbeitsalltag helfen Bildschirmpausen. Auch wer zwischendurch ins Grüne blickt und damit automatisch Blickrichtung und -distanz verändert, tut seinen Augen etwas Gutes.
Warum Gähnen hilft
„Trockene Augen“ werden im Büro ebenfalls öfter zum Problem. Das „Starren“ auf den Bildschirm reduziert die Häufigkeit des Lidschlags, der wie ein „Scheibenwischer“ funktioniert und die Augen mit Feuchtigkeit benetzt. Trockene Luft im Büro kann schadet, weil sie das so genannte „Office-Eye-Syndrom“ begünstigt. Betroffene leiden unter Augenbrennen, Rötungen, Ermüdung, tränenden Augen und einem Fremdkörpergefühl. Sie tragen ein höheres Risiko an einer Bindehautentzündung zu erkranken. Studien zeigen sogar, dass die ständige Naharbeit am Bildschirm dazu führen kann, dass es den Augen durch die Gewöhnung schwerer fällt, in der Ferne scharf zu sehen. Für Entlastung sorgt auch hier ein kurzes Training für zwischendurch. Die Augenmuskulatur wird dabei gelockert, beispielsweise durch mehrfaches Augenrollen bei geschlossenen Lidern oder bewusstes Blinzeln. Gähnen kann ebenfalls helfen, die Augen wieder mit Feuchtigkeit zu versorgen. Eine Alternative sind „künstliche Tränen“ aus der Apotheke. Allerdings ist hier vorab medizinischer Rat gefragt, denn die Augentropfen können abhängig machen oder Allergien auslösen.