Ulrike Schupp in STERN „Meine Gesundheit“. Herzinfarkt, Herzschwäche, Herzklappenerkrankungen, Rhythmusstörungen, oder auch angeborene Herzfehler führen zu über 1,7 Millionen Klinikeinweisungen im Jahr, sagt die Deutsche Herzstiftung. Bei einem Infarkt herrscht enormer Zeitdruck. Ins Krankenhaus geht es oft im Rettungswagen und mit Blaulicht. Denn hier zählt jede Sekunde. Um Leben zu retten und auch um nach einem erfolgreichen Eingriff möglichst viel Lebensqualität für die Patientinnen und Patienten zu erhalten. Herzerkrankungen sind für die Betroffenen belastend. Pumpt das Herz nicht mehr richtig, macht sich das auch im Alltag häufig durch geringere Belastbarkeit bemerkbar. Wer an einer Herz-Erkrankung leidet, sollte Stress vermeiden oder stressige Phasen zumindest immer wieder ausgleichen, auf Pausen achten und mit seiner Energie haushalten. Für das Gesundheitssystem sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen dabei vor allem eins, nämlich teuer. Sie verlaufen in der Regel chronisch, können sich trotz Behandlung verschlimmern und weitere schwere Folgen haben. Kein Wunder also, dass Forschung und Entwicklung zu neuen Behandlungs- und Diagnoseverfahren sowie medikamentösen Therapien auf Hochtouren laufen.
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Meilenstein minimal invasive Kardiologie
Ein zukunftsweisender Durchbruch in der Kardiologie gelang schon vor etwa 30 Jahren. Andreas Grüntzig dehnte 1977 in Zürich erstmals durch eine so genannte Ballondilatation verengte Herzkranzgefäße wieder auf. Dem Patienten, einem 38-jähriger Mann mit einer schweren Verengung des Vorderwandgefäßes, konnte er so die Bypass-Operation ersparen. Gleichzeitig legte der Arzt damit den Grundstein für die interventionelle, minimal invasive Kardiologie von heute. Etwas modernisiert ist sein Verfahren immer noch erfolgreich im Einsatz. Ein spezieller Katheter, ein superdünnes Kunststoffröhrchen, wird dabei mit einem winzigen aufblasbaren Ballon an der Spitze über die Arterie der Leiste oder der Armbeuge durch das Gefäßsystem geführt, bis es die verengte Stelle des Herzkranzgefäßes erreicht hat. Hier wird der Ballon unter sehr hohem Druck aufgepumpt und das verschlossene Blutgefäß damit so weit aufgedehnt, dass das Blut wieder problemlos hindurchfließen kann. Mit dem Ballonkatheter kann gleichzeitig ein Stent, ein winziges Metallröhrchen, eingeführt werden, das als Gefäßstütze dafür sorgt, dass sich die verengte Stelle nicht einfach wieder schließt. Der Ballonkatheter wird anschließend wieder entfernt. Der Stent bleibt. Medikamente-freisetzende Stents können den Schutz noch einmal verstärken, indem sie zusätzlich Substanzen freisetzen, die ebenfalls helfen, das Blutgefäß offen zu halten. Die erste Stentimplantion an einem Blutgefäß des Herzens rund zehn Jahre nach der ersten Ballondilatation in einem Hospital in der Schweiz, in Lausanne. Bei einem Infarkt sind die minimal invasiven Katheter-Verfahren oft lebensrettend. Sie dauern oft nur etwa 30 Minuten und verhindern das weitere Absterben von Herzmuskelgewebe, oder auch eine akute Herzschwäche. Durch die lokale Betäubung spüren Patientinnen und Patienten nicht einmal Schmerzen. Eine Vollnarkose ist in der Regel nicht nötig. Während noch vor 30 Jahren jeder dritte bei einem Herzinfarkt starb, kehren heute ca. 95% der Infarktpatienten in ihren Alltag zurück.
Ultraschallimpulse gegen Plaques
Mittlerweile können auch die Ballonkatheter selbst mit Medikamenten beschichtet werden. Während der Ballondilatation kommen die Wirkstoffe dann mit der Gefäßwand in Kontakt und verhindern dort die Bildung von Ablagerungen. Allerdings kann der „Kalziumplaque in den Gefäßen so hart wie Beton sein“, sagt Anwar Hanna, Chefarzt der Klinik für Kardiologie des Gesundheitszentrums Bitterfeld/Wolfen, die jährlich etwa 2.000 Untersuchungen im Herzkatheterlabor durchführt. „Die Gefäße sind dann mit üblichen Methoden wie Stents und Ballons nicht mehr aufdehnbar. Schwer davon betroffene Patienten mussten bisher meist operiert oder in Spezialkliniken zur Weiterbehandlung verlegt werden. Aber es gibt die moderne Methode der Intravaskulären Lithotripsie, die wir erfolgreich anwenden“, Der verhärtete „Kalk“ wird dabei mit Ultraschallimpulsen aufsprengt, so dass die Patientin oder der Patient anschließend mit einem minimal invasiven Verfahren weiter behandelt werden können.
Neue Generation von bioresorbierbaren Stents
Stents, die sich innerhalb von etwa zwei Jahren im Körper vollständig auflösen, so dass langfristig kein Fremdmaterial im Herzkranzgefäß zurückbleibt? Eigentlich eine faszinierende Idee. Und vor einigen Jahren sah es sogar so aus, als könnten die sogenannten Scaffolds die bewährten Metallstents langfristig ablösen. Eine Studie, die im März 2017 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, zeigte jedoch, dass sich im Inneren der bioresorbierbaren Stents häufiger Blutgerinnsel bildeten. Die sogenannten Stent-Thrombosen sind eine gefürchtete Komplikation. Um die Scaffolds wurde es außerhalb der Forschung relativ ruhig. Seit kurzem versprechen allerdings weiterentwickelte selbstauflösende Stents bessere Therapiemöglichkeiten. Bereits 2018 wurde im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in der Klinik für Innere Medizin III erstmals eine bioresorbierbare Gefäßstütze der dritten Generation eingesetzt. Die Klinik arbeitet an der Weiterentwicklung der neuen Stents und ist an wichtigen Studien dazu federführend beteiligt. Die Stents sollen die Arterien während des Heilungsprozesses stabilisieren und nach bis zu vier Jahren wieder aus dem Körper verschwinden. Das Verfahren ermöglicht der Arterie ihre natürlichen Funktionen zurückzugewinnen und könnte damit möglicherweise nötige, zukünftige Eingriffe erleichtern. Im Vergleich zu den Modellen der ersten Generation sind die neuen bioresorbierbaren Stents wesentlich dünner. „Ein dünneres Profil kann die Benutzerfreundlichkeit während der Implantation und die Gefäßheilung nach dem Eingriff deutlich verbessern“, sagt Dr. Matthias Lutz vom UKSH Kiel. „Meine Erfahrung mit diesem Stent ist, dass mit dieser Weiterentwicklung eine einfachere Implantation möglich ist, gerade da diese in der Röntgen-Durchleuchtung sehr einfach zu verfolgen ist. Bioresorbierbare Gefäßstützen haben das Potenzial, die Langzeitergebnisse im Vergleich zu medikamenten-freisetzenden Stents aus Metall weiter zu verbessern und sind eine wichtige Behandlungsoption, gerade für unsere jüngeren Patienten, bzw. Patienten, bei denen die Engstellen in den Koronararterien gewisse Kriterien erfüllen.“
Fehlendes Signalprotein soll vor „Verkalkungen“ schützen
„Verkalkungen“, die Plaques an den Wänden der Blutgefäße, die auch durch chronisch verlaufende, entzündliche Prozesse entstehen, gelten als Hauptursache für die Koronare Herzkrankheit, für Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Trotz medikamentöser Behandlung tragen viele Patientinnen mit Artherosklerose weiterhin ein hohes Risko, schwere Herz-Kreiflauferkrankungen zu entwickeln. Signalproteine, die eine wichtige Rolle bei den Signalprozessen zwischen und innerhalb von Zellen spielen, könnten hier neue Ansatzpunkte für wirkungsvollere Therapien liefern. Forschende vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) konnten bereits zeigen, dass es Mäuse vor gefährlichen, instabilen Gefäßablagerungen schützten kann, wenn ihnen an einem bestimmten Signalprotein mangelt. Die Mäuse, denen das Protein fehlte, schütteten zugleich in bestimmten T-Zellen weniger von dem Protein Interferon-gamma aus, das die Aktivität des Immunsystems fördert. Atherosklerose gilt als eine Erkrankung, bei der die Immunantwort entgleist. Abgeschlossen ist die Forschung zu den Effekten von bestimmten Signalproteinen auf unterschiedliche Zelltypen noch lange nicht. Aber die Chancen stehen gut, dass sich das Entstehen von Plaques auf Basis durch diesen neuen Ansatz künftig noch besser verhindern lässt.
SARS-COV-2 Impfungen für Herzpatient:innen
Themen, die aktuell auch für die Kardiologie im Fokus stehen sind SARS-COV2, die Wirkung von COVID-19 sowie auch der Impfstoffe auf Herzpatientinnen und -Patienten. Viele fürchten, infolge einer Impfung-Nebenwirkung an einer Herzmuskelentzündung zu erkranken oder auch das Herz durch die Impfreaktion noch einmal besonders zu belasten. Der Deutschen Herzstiftung zufolge haben Menschen mit Vorerkrankungen von Herz und Kreislauf bei einer Infektion jedoch ein zwei bis dreifach höheres Risiko, an COVID-19 auch zu sterben. Ebenfalls zwei bis dreifach erhöht sei das Risiko für einen schweren Verlauf. „Myokarditis ist eine relevante Nebenwirkung“, sagt der Kardiologe Thomas Voigtländer von der Deutschen Herzstiftung, das dürfe man nicht verschweigen. „Aber das Auftreten einer Myokarditis im Rahmen einer COVID-19 Infektion liegt bei 11 pro 100.000. Im Rahmen einer Impfung beträgt das Risiko 1 bis 3 pro 100.000.“ Das zeige eine Studie aus Israel zum Impfstoff von Biontech/Pfizer. Die Angst mancher Menschen, dass die Impfung „aufs Herz geht“, sei übertrieben: Jede Impfung belaste den Körper und damit auch die Organe, „weil sie eine Infektion nachspielt“, erklärt Voigtländer. Wer sich nicht gegen Krankheiten wie COVID-19 impfen lasse, gehe aber ein weit höheres Risiko ein.